Freitag, 5. Oktober 2012

Kolyma (T. R. Smith)


Der Nachfolgeroman von Kind 44.


"Am äußeren Rand von Sibirien gelegen, tausende Kilometer von Moskau entfernt, gibt es in der Region Kolyma nur Steine, Schnee, Permafrost - und Lager: die schlimmsten Gulags der Sowjetunion. In diese eisige Wüste lässt Leo Demidow sich einschmuggeln, denn seine Tochter wurde entführt, und ihr Leben steht auf dem Spiel. Doch als einer der Mithäftlinge ihn als ehemaligen KGB-Agenten enttarnt, sitzt Leo plötzlich in einer tödlichen Falle."
Bereits der Debütroman "Kind 44" von Smith hat mir gut gefallen, "Kolyma" übertrumpft meines Erachtens den Vorgänger noch. Ausgehend vom Klappentext nimmt der Leser an, der Fokus läge auf Leos Erlebnissen in dem Gulag in der Region Kolyma, so dass die Entführung seiner Adoptivtochter Soja nur als Mittel zum Zweck dient.
Dem ist nicht so.
Vielmehr wird Leo, der ehemals dem sowjetischen Geheimdienst angehörte, von seiner Vergangenheit eingeholt. Stalins Tod hat im Land für Verwirrung und Unruhen gesorgt, die ihren Höhepunkt erreichen, als Chruschtschow in seiner "Geheimrede" die Verbrechen des Stalinismus' offen anspricht und damit auch die verurteilt, die dessen Willen ausgeführt haben.
Im Zuge von Racheackten werden vielen (auch ehemaligen) Beamten des KGB Auszüge der geheimen Rede zugestellt, wodurch sie sich mit ihren Untaten aus der Vergangenheit auseinander setzen müssen.
Leo kann nun nicht mehr in seiner selbst konstruierten "heilen Welt" leben, da er an allen Ecken mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Ein großes Problem stellt für ihn seine Adoptivtochter Soja dar, um deren Liebe er förmlich bettelt. Sie hingegen empfindet nur Hass, weil sie ihn immer noch für den Tod ihrer Eltern zur Verantwortung zieht.
Als Soja von einer im Untergrund operierenden Rebellengruppe entführt wird, ist Leo bereit, alles für ihre Rettung zu tun. Um ihre Freilassung zu erwirken, soll er sich in das Gulag 57 einschleusen lassen und dort einen Priester befreien, dessen Festnahme er vor vielen Jahren veranlasst hatte. Die Infiltration des Lagers schlägt jedoch fehl, so dass Leo noch am ersten Abend erkannt wird und die Rache der Gefangenen zu spüren bekommt.

Währenddessen wendet sich Soja den Rebellen zu und stellt fest, dass deren Leben ihren moralischen Grundsätzen viel eher entspricht als die Farce, der sie bei Leo ausgesetzt ist.
Leo weiß jedoch nichts davon und setzt alles daran, den gefangenen Priester zu befreien und ihn gegen seine Tochter auszutauschen. Nach diversen dramatischen Situationen kann er seinen Teil des Paktes erfüllen, doch statt der Übergabe seiner Tochter wird diese vor seinen Augen von der Anführerin der Rebellen von einer Brücke gestoßen und ertränkt.
In Wirklichkeit handelt es sich dabei nur um einen Racheakt an Leo, der für seine Taten büßen und dem möglichst viel Leid widerfahren soll.

An dieser Stelle wäre meiner Meinung nach eine gute Gelegenheit für einen Cut gewesen, denn die nun folgenden ca. 100 Seiten plätschern so dahin. Leo erfährt, dass seine Tochter doch noch lebt und will sie aus den Händen der Rebellen befreien, die zu dem Zeitpunkt in Ungarn damit beschäftigt sind, Unruhen zu schüren. Nach einem dramatischen Showdown mit Schießerei, Handgranaten, Panzern und allem, was sonst noch dazu gehört, gelingt ihm sein Vorhaben und die Familie kann erneut den Versuch starten, ein "normales" Familienleben zu führen. Mal schauen, wie lange es diesmal geht, denn möglicherweise folgt bald Teil 3... ;)

Fazit:

"Kolyma" hat mir sehr gut gefallen (zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Soja von der Brücke gestoßen wird), wieder ist jedoch der Klappentext trügerisch: Wer also davon ausgehend zahlreiche harte Schilderungen des Gulag-Alltages erwartet, wird eher enttäuscht sein. Nichtsdestotrotz ein Buch, das ich absolut empfehlen kann, und welches mir persönlich sogar besser gefällt als der Vorgänger. Besonders die immer wieder scheiternden Versuche Leos, eine Familienidylle zu erzeugen und so seine Fehler der Vergangenheit zu sühnen, und die gnadenlose Vergeltung der früheren Opfer machen "Kolyma" zu einem bewegenden Buch, das zu anschließenden Diskussionen anregt.

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