Donnerstag, 27. September 2012

Kind 44 (T. R. Smith)


Ein Buch zum Nachdenken. Sicher kein simpler Krimi.


"Moskau, 1953. Auf den Bahngleisen wird die Leiche eines kleinen Jungen gefunden. Nackt. Fürchterlich zugerichtet. Doch in der Sowjetunion der Stalinzeit gibt es offiziell keine Verbrechen. Und so wird der Mord zum Unfall erklärt. Der Geheimdienstoffizier Leo Demidow jedoch kann die Augen vor dem Offenkundigen nicht verschließen. Als der nächste Mord passiert, beginnt er auf eigene Faust zu ermitteln und bringt damit sich und seine Familie in tödliche Gefahr."
Der Klappentext lässt vermuten, dass es sich bei "Kind 44" um einen Krimi handelt, bei dem die Aufklärung der Morde im Vordergrund steht. Wer jetzt also eine spannende Kriminalgeschichte erwartet, der sollte das Buch lieber aus der Hand legen. Meiner Meinung nach steht eher der Protagonist Leo und dessen innere Wandlung im Mittelpunkt: Schon in jungen Jahren beginnt er eine Karriere beim russischen Geheimdienst, wobei ein Großteil seiner Aufgaben sich darauf beläuft, sog. "Staatsfeinde" ausfindig zu machen, auszuspionieren, zu denunzieren und anschließend ihrer "gerechten" Strafe zuzuführen. Jahrelang geht Leo diesen im Namen Stalins ausgeübten Tätigkeiten nach und ist sich dabei sicher, das Richtige zu tun und so das Gemeinwohl zu schützen.
Verbrechen jeder Art werden vom Staat geleugnet und vertuscht, die Fassade einer gewaltfreien und gleichberechtigten Gesellschaft soll um jeden Preis aufrecht erhalten werden.
Erst als ein Mord an einem kleinen Jungen geschieht und Leo zur Vertuschung gezwungen wird, beginnt er allmählich zu erahnen, dass er sein Leben möglicherweise den falschen Zielen gewidmet hat.
Nun beginnt die Jagd nach dem Mörder, bei der Leo auf sich alleine gestellt ist. Sein Wunsch, unschuldige Kinder zu schützen, bringt ihn dazu, auf eigene Faust und gegen den Willen des Staats zu ermitteln.
Leos innere Zerrissenheit und seine daraus resultierende Wandlung werden authentisch beschrieben, was man jedoch von der Story leider eher weniger behaupten kann:
Im ersten Teil des Buches ist dem Leser nicht ganz klar, wohin die Story eigentlich führen soll, auch die sich aufbauende Spannung ist mäßig, was auch dadurch zustande kommt, dass sich (irgendwann nicht mehr realistische) Zufälle häufen. In der zweiten Hälfte des Buches fährt der Autor jedoch alle verfügbaren Geschütze auf: Verfolgungsjagden, Schießereien, Verrat [...], so dass sich der Leser vor lauter "Action" gar nicht mehr retten und das Buch kaum aus der Hand legen kann.

Fazit:

Ein sehr bewegendes und fesselndes Buch im Bezug auf die charakterliche Entwicklung Leos. Die Story basiert meiner Meinung nach auf zu vielen Zufällen, so dass sie sehr konstruiert wirkt. Die Morde und deren Aufklärung stehen eher im Hintergrund, stattdessen wird eher der Fokus auf Leos Vergangenheitsbewältigung gelegt. Die Grausamkeiten in den Gefängnissen sowie der raue Umgang mit angeblichen Verrätern werden sehr blutig und anschaulich beschrieben, so dass das "Kind 44" für schwache Gemüter nicht zu empfehlen ist.
Das Buch war trotz einiger Kritikpunkte so spannend, dass ich den nächsten Teil - "Kolyma" - auf jeden Fall lesen werde.

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